Blautopf – Kärtchen für mehr Transparenz

Wir freuen uns sehr, Euch auf unserer Internetseite zu begrüßen! – Bienvenue sur notre site!

(La version française se trouve sous l'accueil en allemand.)

Das gefährlich einfältige Bild des Westens von Russland und China

Das gefährlich einfältige Bild des Westens von Russland und China Bild von Stefan Keller auf Pixabay

Mit manipulierten Fakten wird der westlichen Öffentlichkeit eine übertriebene Angst vor China und Russland suggeriert.

Ein Artikel von Jeffrey D. Sachs, dankend übernommen aus dem Magazin Free21.

Die Welt steht nicht zuletzt deshalb am Rande einer nuklearen Katastrophe, weil die politischen Führer des Westens versagt haben, die Ursachen der eskalierenden globalen Konflikte offen auszusprechen. Das gnadenlose westliche Narrativ, dass der Westen edel und Russland und China bösartig seien, ist einfältig und höchst gefährlich. Es ist der Versuch, die öffentliche Meinung zu manipulieren, statt sich mit sehr realen und dringenden diplomatischen Belangen auseinanderzusetzen. Dieses westliche Narrativ ist Bestandteil der nationalen Sicherheitsstrategie der USA [1].

Kerngedanke der USA ist, dass China und Russland ihre unerbittlichen Feinde sind, die „versuchen, die amerikanische Sicherheit und den Wohlstand zu untergraben“. Nach Ansicht der USA sind diese Länder „entschlossen, die Wirtschaft weniger frei und weniger fair zu gestalten und ihre Streitkräfte zu verstärken. Indem sie die Kontrolle über Informationen und Daten [ihrer Bürger, Anm. Free21] gewinnen, können sie ihre Gesellschaften unterdrücken und den eigenen Einfluss ausweiten.“

Die Ironie besteht darin, dass die USA seit 1980 in mindestens 15 Kriege in Übersee verwickelt waren (u.a. Afghanistan, Irak, Libyen, Panama, Serbien, Syrien und Jemen), während China in keinen und Russland außerhalb der ehemaligen Sowjetunion nur in einen (Syrien) verwickelt war. Die USA haben Militärbasen in 85 Ländern, China in drei und Russland außerhalb der ehemaligen Sowjetunion in einem Land (Syrien).

Präsident Joe Biden hat diese Sichtweise gefördert indem er erklärte [2], die größte Herausforderung unserer Zeit sei der Wettbewerb mit autokratischen Regimen. Diese „versuchen, ihre eigene Macht auszubauen, ihren Einfluss in die ganze Welt zu exportieren und auszuweiten, und ihre repressive Politik und Praxis als effizienteren Weg zur Bewältigung heutiger Herausforderungen zu rechtfertigen“. Die Sicherheitsstrategie der USA ist nicht das Werk eines einzelnen US-Präsidenten, sondern des weitgehend autonomen und im Geheimen operierenden US-Sicherheitsapparats.

In der westlichen Öffentlichkeit wird durch Manipulation der Fakten eine übergroße Angst vor Russland und China erzeugt. Eine Generation zuvor hatte George W. Bush jr. der Öffentlichkeit den islamischen Fundamentalismus als Amerikas größte Bedrohung verkauft. Dabei vergaß er zu erwähnen, dass es die CIA war, die zusammen mit Saudi-Arabien und anderen Ländern die Dschihadisten in Afghanistan, Syrien und anderswo geschaffen, finanziert und eingesetzt hatte, damit diese Amerikas Kriege führen.

Oder denken Sie an den Einmarsch der Sowjets 1980 in Afghanistan, der in westlichen Medien als grundloser, perfider Angriff dargestellt wurde. Jahre später erfuhren wir, dass der sowjetischen Invasion eine CIA-Operation vorausgegangen war, um den Einmarsch zu provozieren! [3] Die gleiche Fehlinformation gab es auch in Bezug auf Syrien – die westliche Presse ist voll von Vorwürfen gegen Putins militärische Unterstützung für Syriens Bashar al-Assad ab 2015 ohne eine Wort darüber zu verlieren, dass die USA den Sturz al-Assads bereits seit 2011 unterstützten. Dabei hatte die CIA eine größere Operation (Timber Sycamore) finanziert, um Assad Jahre vor Russlands Ankunft zu stürzen.

Oder – wie erst kürzlich geschehen: Als die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, trotz Chinas Warnungen leichtsinnig nach Taiwan flog, rügte keiner der G7-Außenminister Pelosis Provokation. Aber die „Überreaktion“ Chinas auf Pelosis Reise wurde von den G7-Ministern gemeinsam scharf kritisiert.

Das westliche Narrativ im Ukraine-Krieg lautet, Putin habe einen unprovozierten Angriff unternommen, um das russische Imperium wiederherzustellen. In Wahrheit beginnt die Geschichte aber mit dem Versprechen des Westens an den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, die NATO werde sich nicht nach Osten erweitern – gefolgt von vier Wellen der NATO-Erweiterung: 1999 wurden drei mitteleuropäische Staaten aufgenommen, 2004 sieben weitere, darunter die Staaten am Schwarzen Meer und im Baltikum, 2008 wurde die Erweiterung um die Ukraine und Georgien zugesagt, und 2022 wurden vier asiatisch-pazifische Staaten in die NATO eingeladen, um China ins Visier zu nehmen.

Westliche Medien erwähnen auch nicht die Rolle der USA beim Sturz des prorussischen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch im Jahr 2014, das Versäumnis der Regierungen Frankreichs und Deutschlands – der Garanten des Minsk-II-Abkommens – die Ukraine zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu drängen, die umfangreichen US-Rüstungslieferungen an die Ukraine während der Regierungen Trumps und Bidens im Vorfeld des Krieges, sowie die Weigerung der USA, mit Putin über die NATO-Aufnahme der Ukraine zu verhandeln.

Natürlich behauptet die NATO, dies sei rein defensiv, Putin habe nichts zu befürchten. Das heißt aber nichts anderes als Putin solle die CIA-Operationen in Afghanistan und Syrien, die NATO-Bombardierung Serbiens im Jahr 1999, den Sturz von Muammar Gaddafi durch die NATO im Jahr 2011, die 15-jährige NATO-Besetzung Afghanistans, Bidens verbalen „Fauxpas“, in dem er die Absetzung Putins forderte [4] (was natürlich keineswegs ein Fauxpas war) und die Aussage von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin, das Kriegsziel der USA in der Ukraine sei die Schwächung Russlands [5], nicht zur Kenntnis nehmen.

Im Zentrum all dessen steht das Bestreben der USA, die Hegemonialmacht der Welt zu bleiben, indem sie ihre Militärbündnisse auf der ganzen Welt ausbauen, um China und Russland einzudämmen oder zu besiegen. Das ist eine gefährliche, wahnhafte und überholte Idee. Die USA haben nur 4,2% der Weltbevölkerung und nur 16% des Welt-BIP (gemessen in internationalen Preisen). Tatsächlich ist das kombinierte BIP der G7 heute geringer als das der BRICS (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika), während die G7-Bevölkerung nur 6 Prozent der Weltbevölkerung ausmacht, verglichen mit 41 Prozent in den BRICS.

Es gibt nur ein Land, dessen selbst erklärter Traum es ist, die dominierende Macht der Welt zu sein: die USA. Es wird Zeit, dass die USA die wahren Quellen von Sicherheit erkennen: den inneren sozialen Zusammenhalt und die verantwortungsvolle Zusammenarbeit mit dem Rest der Welt, nicht die Illusion der Hegemonie. Mit einer solchen revidierten Außenpolitik würden die USA und ihre Verbündeten einen Krieg mit China und Russland vermeiden und die Welt in die Lage versetzen, ihre unzähligen Umwelt-, Energie-, Nahrungsmittel- und Sozialkrisen zu bewältigen.

Und vor allem sollten die europäischen Staats- und Regierungschefs in dieser Zeit der extremen Gefahr die wahre Quelle europäischer Sicherheit erkennen: nicht die Hegemonie der USA, sondern europäische Sicherheitsvereinbarungen, die die legitimen Interessen aller europäischen Nationen respektieren. Und dazu gehört die Ukraine ebenso wie Russland, das sich weiterhin gegen eine NATO-Erweiterung ins Schwarze Meer wehrt.

Europa möge erkennen, dass die Nichterweiterung der NATO und die Umsetzung der Minsk-II-Vereinbarungen diesen schrecklichen Krieg in der Ukraine hätten verhindern können. In dieser Situation ist Diplomatie statt militärische Eskalation der wahre Weg zu europäischer wie weltweiter Sicherheit.

Dieser Artikel von Jeffrey D. Sachs wurde aus dem Magazin Free21 übernommen.

Quellen und Verweise:
[1] The White House - „National Security Strategy of the United States of America“, Dezember 2017
[2] The White House - „Remarks By President Biden At The Summit For Democracy Opening Session“, am 9.12.2021
[3] The University of Arizona - „The Brzezinski Interview with Le Nouvel Observateur (1998)“
[4] npr - „Biden says of Putin: For God´s sake, this man cannot remain in power“, am 26.3.2022
[5] The Washington Post - Missy Ryan and Annabelle Timsit, „U.S. wants Russian military weakened from Ukraine invasion, Austin says“, am 25.4.2022

Jeffrey D. Sachs ist Universitätsprofessor und Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University, wo er von 2002 bis 2016 das Earth Institute leitete. Außerdem ist er Präsident des UN Sustainable Development Solutions Network und Kommissar der UN-Breitbandkommission für Entwicklung. Er war Berater von drei Generalsekretären der Vereinten Nationen und ist derzeit SDG-Beauftragter von Generalsekretär Antonio Guterres.

Dieser Text wurde zuerst am 23.8.2022 auf www.commondreams.org unter der URL https://www.commondreams.org/views/2022/08/23/wests-dangerously-simple-minded-narrative-about-russia-and-china> veröffentlicht. Lizenz: Jeffrey D. Sachs, CommonDreams, CC BY-NC-ND 3.0

Aktiv werden gegen den Wahnsinn

Aktion: Die EU weiß um die Gefahr eines Atomkrieges und gießt trotzdem Öl ins Feuer

Die Biden-Administration schließt einen atomaren Erstschlag nicht aus

 


Gelesen 1011 mal