Der jetzige Doppelstaat ist ein alter Bekannter

Die Normen des Rechtsstaates verlieren an Bedeutung Die Normen des Rechtsstaates verlieren an Bedeutung Image by Peggy from Pixabay

Der Rechtsstaat war hierzulande immer wieder janusköpfig.

Sucht man nach Kriterien für die heutige Doppeldeutigkeit landet man beim Begriff des Doppelstaates und einem Nebeneinander von „Normenstaat“ und „Maßnahmenstaat“.

Professor Ernst Fraenkels Analyse des deutschen Rechtsstaates im Faschismus ist auch heute noch bemerkenswert und aktuell. Mit dem von ihm geprägten Begriff des „Doppelstaates“ legte der deutsch-amerikanische Jurist und Politikwissenschaftler, der nach Amerika emigrieren musste, bereits 1940 eine rechtliche Analyse des NS-Staates vor. Fraenkels These ist, dass im Nationalsozialismus zwei Formen der Herrschaft nebeneinander bestehen: Im Normenstaat gelten die bisherigen Rechtsvorschriften in dem Umfang weiter, wie es zur Funktionsfähigkeit des fortexistierenden kapitalistischen Wirtschaftssystems erforderlich ist. Im Maßnahmenstaat wird nicht nach rechtlichen Normen, sondern nach Kriterien politischer Opportunität entschieden, um die Herrschaft des Regimes zu sichern.

Nach dem Krieg kehrte Fraenkel nach Deutschland zurück und lehrte lange Jahre am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Sein Begriff des Doppelstaates ist heute wieder von bedrückender Aktualität. Aus seiner Sicht wurde der Rechtsstaat oder auch „Normenstaat“ der Weimarer Republik nach 1933 nicht einfach abgeschafft oder über den Haufen geworfen, sondern den NS-Interessen gemäß erweitert, gewissermaßen aufgebohrt. Dieser Vorgang widerholt sich heute zum zweiten Mal, mit wohlwollender Unterstützung des Bundestages und der Systemparteien.

Derartige Veränderungen sind nicht erst im Zusammenhang mit der Pandemiepolitik zu beobachten. Aber vorderhand ist es exemplarisch, wie die ins Infektionsschutzgesetz gepackten neuen Regelungen, mit denen die Bürger auf die Einhaltung der sogenannten Pandemieregeln verpflichtet werden sollen, wirkten. Es dürfte aber auch auf die permanenten Novellierungen des EEG zutreffen, mit denen die ursprünglichen Normen zur Förderung der Sonnen- und Windenergie in ihr Gegenteil verkehrt wurden. Ebenso gilt dies für die zwangsweise Zahlung der Rundfunkbeiträge, um ein weiteres Beispiel zu nennen oder – grundsätzlich – für die Verlagerung der Gesetzgebung auf die Ebene der Europäischen Union. Der freie Wille des Bürgers wird zunehmend ersetzt durch angebliche Bedürfnisse des Kollektivs, das zur Grundlage des Wertesystems herangezogen wird. Das sind aber nicht mehr die Grundrechte, es sind die aktuellen Herrschaftsinteressen der an der Macht befindlichen politischen Kräfte.

Legt man Fraenkels Kriterien für den Doppelstaat zugrunde, kann auch heute der von ihm geprägte Begriff aufgeteilt werden in den „Normenstaat“ und den „Maßnahmenstaat“. Es lässt sich konstatieren, der angebliche Rechtstaat in der Bundesrepublik besteht einerseits aus der Fortexistenz einiger tradierter Rechtsnormen plus dem Anwachsen neuer Rechtsvorschriften andererseits, die aus Gründen der politischen Zweckmäßigkeit in den Rang einer scheinbaren Norm erhoben werden. Daraus, und das scheint eines der Ziele der Politik bereits unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel gewesen zu sein – erinnert sei die Berufung des CDU-Bundestagsabgeordneten Stephan Harbarth im Jahr 2020 zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes – entsteht eine neue Rechtsordnung. Unter der Ampelkoalition wird dies verstärkt voran getrieben. Aber auch hinter dem Schein einer neuen Rechtswirklichkeit lassen sich die gegensätzlichen Sphären des Doppelstaates ausmachen.

Im Unterschied zum Normenstaat orientiert sich der Maßnahmenstaat nicht an Grundrechten, konkret an den ersten zwanzig Artikeln des Grundgesetzes, sondern ausschließlich an Überlegungen der situativ-politischen Zweckmäßigkeit. Entscheidungen werden „nach Lage der Sache“ getroffen. In diesem System „fehlen die Normen und herrschen die Maßnahmen“, stellte Fraenkel bereits während der Nazizeit fest. Schon er hatte mit diesen Worten die Befürchtung verbunden, dass der Maßnahmenstaat sich im Zweifel gegen den Normenstaat durchsetzen könne. Als Beispiel nannte er für den NS-Staat den Holocaust. Was als politisch gelte und damit dem Maßnahmenstaat zugehöre, entschieden nicht unabhängige Gerichte, sondern die politisch Herrschenden.

Dabei wird mehr oder weniger offen auf den Rechtspositivismus gesetzt. Er ist ein Denkansatz, der davon ausgeht, dass alles was in Gesetzesform gegossen ist, eine positive Norm darstellt. Diese rein formale Betrachtung bedeutet eine Identifizierung des Staates mit der Rechtordnung und erlaubt Justiz und Bürgern eine sehr simple, scheinbar zuverlässige Orientierung. Was die Rechtsordnung vorgibt ist gut und richtig und muss befolgt werden. Wenn Staat und Rechtsordnung so eng miteinander verflochten sind, wird allerdings außer Acht gelassen, dass politische Mehrheitsverhältnisse temporär sind und sich verändern können. Normen des menschlichen Zusammenlebens und Grundrechte aber nicht. Dadurch entsteht automatisch das Problem der Verwischung, ja die Aufhebung der Grenzen der Macht des Gesetzgebers. Aus Sicht des Maßnahmenstaats ist dies erwünscht, ja angestrebt.

Der Zweck dieses dualen Konstrukts von Normenstaat und Maßnahmenstaat besteht darin, ein grundsätzlich auf Berechenbarkeit und politisches Funktionieren angelegtes Rechtssystem zu erhalten. In dieser Funktion als gefaktem Rechtsstaat soll es einerseits der Aufrechterhaltung der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung dienlich bleiben. Viele Gesetze, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte besitzen nach wie vor Gültigkeit. Der Rechtsstaat als eine der zentralen Säulen des Systems soll von grundsätzlichen und existenzgefährdenden Diskussion verschont bleiben. Eine Kritik politischer Maßnahmen mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit soll bereits im Vorfeld durch vom Parlament beschlossene Gesetze unterbunden werden. Der Schutz des Privateigentums kann außerhalb jeglicher Diskussion bleiben, ebenso das für die Wirtschaftsabläufe wesentliche Vertragsrecht.

Vor allem aber geht es zukünftig um die politischen Veränderungen, wie sie unter anderem der Great Reset vorsieht. Also Coronapolitik, Klimalegende, offene oder verdeckte Kriegsbeteiligung, Digitalisierung sowie Künstliche Intelligenz und, bereits erwähnt, die EU als übergeordnete Institution über den Nationalstaaten zu etablieren. Und das Ganze als Teil der Weltherrschaft der US-Oligarchie. Es zielt auf den Abbau der erkämpften demokratischen Rechte des Volkes, auch wenn es vorerst als eine subtile Variante der Klassenjustiz und der Fassadendemokratie daher kommt. Allerdings gilt das Gesagte vor allem für den globalen Westen. Ob der globale Süden, also die Mehrheit der Menschheitsfamilie, mitmachen wird, ist offen. Eine erste Probe aufs Exempel dürfte die geplante Veränderung des Charakters der Weltgesundheitsorganisation WHO im kommenden Jahr werden.

Verweise und Quellen:
Fraenkel begriff in seiner Studie die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 als „Verfassungsurkunde des Dritten Reiches“
Ausgrenzung und Entrechtung, Vertreibung, Deportation und Ermordung von Berliner Juden in den Jahren 1933 bis 1945, dokumentarische Schilder im Bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg
The Dual State wurde von der amerikanischen Öffentlichkeit bereits kurz nach Erscheinen intensiv wahrgenommen. In Deutschland war das Buch hingegen auch nach 1945 nur schwer zu bekommen. Eine deutsche Übersetzung von „Der Doppelstaat“ erschien erst kurz vor Ernst Fraenkels Tod 1975
Gedenktafel an Ernst Fraenkels ehemaligem Wohnhaus enthüllt, Campus.Leben, Online-Magazin der FU Berlin

 


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