"Platznot in Krankenhäusern"

Lazarett, Postkarte vor dem 10.1.1918 Lazarett, Postkarte vor dem 10.1.1918 unbekannt/Wikimedia

Dieser Titel erschreckt schon beim Lesen. Viele Menschen assoziieren damit überfüllte Intensivstationen und Corona-Patienten, die vor den Krankenhäusern warten.

Tatsächlich ist es aber der Name eines ARD-Berichtes von 2018, der den immer wieder auftretenden Notstand in Krankenhäusern durch aggressive Grippewellen beschreibt. Ein Bericht unter vielen -- die Überforderung des Gesundheitssystems ist nicht Corona-spezifisch, sondern zyklisch und systembedingt.

Resourcen sind limitiert. Auch in Krankenhäusern steht nur eine bestimmte Anzahl an Betten, Ärzten und Pflegekräften zur Verfügung, aber auch Operationssäle und Blutkonserven können knapp werden. Gleichzeitig gelten wirtschaftliche Prinzipien nach denen ein Krankenhaus arbeitet. So ist ein Intensivbett oder ein Operationssaal sehr teuer, das Krankenhaus also bemüht, diese nicht unnötig leer stehen zu lassen.

Das schlägt sich direkt in der Planung von Operationen nieder, bei der wirtschaftlich eine möglichst hohe und gleichmäßige Auslastung von Operationssälen und Intensivbetten angestrebt wird. Gleichzeitig wird aufgrund der Resourcenknappheit immer auch eine Reserve für unvorhergesehene Notfälle eingeplant.

Dieses durchaus sinnvolle System erklärt der Notarzt Dr. Paul Brandenburg sehr gut in einem Interview mit OvalMedia. Dabei geht es auch um die gefürchtete Triage, das Sortieren von Patienten nach Kriterien wie Dringlichkeit und Rettungswahrscheinlichkeit. Diese Triage findet bei Situationen mit vielen Verletzten oder auch überfüllten Notaufnahmen immer statt und ist, wie Brandenburg erklärt, Teil eines gut durchdachten Systems.

Da kein Krankenhaus vorhersehen kann, wann, wo und wieviele Notfälle auftreten, kommt es lokal immer wieder zu Überlastungen. Dies wäre nur vermeidbar, wenn man sehr große Überkapazitäten schaffen würde. Das aber würde bedeuten, dass die meiste Zeit viele Betten leer stehen und das Personal seinen ärztlichen und pflegerischen Tätigkeiten ziemlich entspannt nachkommen könnte. Klingt zunächst nicht schlecht, ist aber mit marktwirtschaftlichen Prinzipien und unserem Abrechnungssystem praktisch nicht vereinbar.

Dennoch stellt sich natürlich die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, das Gesundheitssystem anders zu strukturieren: z.B. durch ein gerechteres Beitragssystem eine bessere Bezahlung bei den Pflegeberufen zu ermöglichen und gegebenenfalls die Kapazitäten zu erhöhen. Auch wäre eine grundlegende Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, Krankenhäuser privatwirtschaftlich und damit gewinnorientiert zu betreiben. Doch interessanterweise ist es gerade in dieser Zeit kaum Thema, obwohl Politiker ständig auf eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems hinweisen, gleichzeitig aber Krankenhausschließungen nicht nur billigen, sondern sogar durch den Krankenhausstrukturfonds fördern -- auch in 2020. Zumindest im Ärzteblatt wird dies durchaus kritisch gesehen (s. Quellen).

Insgesamt läßt sich nicht vermeiden, dass es auch bei schweren Infektionswellen immer wieder zu Problemen kommt. Mehr Kranke strömen in die Krankenhäuser, während gleichzeitig erkrankungsbedingt weniger Personal zur Verfügung steht. Die Folgen sind dann längere Wartezeiten, längere Fahrten zu Kliniken mit freien Kapazitäten, verschobene Operationen und schlimmstenfalls sogar Unterversorgungen.

Doch wie ist es eigentlich um unsere Krankenhäuser bestellt?

Während der letzten 26 Jahre sind ca. 30% der Krankenhäuser geschlossen worden, vor allem die Kleineren. Gleichzeitig sind die größeren Kliniken aber gewachsen. Auch die Zahl der Betten ist um ca. 30% gefallen, allerdings hat der Anteil der Intensivbetten, des ärztlichen und des Pflegepersonals zugenommen. Gleichzeitig sind 25% mehr Patienten behandelt worden, die aber nur noch halb so lange im Krankenhaus blieben. Man sieht also, dass es sich bei den Veränderungen um einen komplexeren Prozess handelt, bedingt durch sich ändernde Lebensweisen und Behandlungsstrategien, aber auch durch eine gezielte Umstrukturierung des Krankenhaussystems.

Legt man die zur Verfügung stehenden Ärzte, das Pflegepersonal und die Betten auf die einzelnen Belegungstage (BT) um, so erhält man das unten stehende Diagramm. Dargestellt ist, wieviel Krankenhauspersonal bzw. Betten auf einen Patienten pro Tag entfallen, bezogen auf den Zeitraum 1991 - 2017. Hier zeigt sich, dass sich die Situation nicht unbedingt schlecht entwickelt hat. Insgesamt stehen heute mehr Ärzte, mehr Pflegepersonal und auch mehr Betten zur Verfügung als vor 26 Jahren. Allerdings sagt diese Grafik nichts über die Verteilung der Ressourcen aus. So kümmern sich im Operationssaal mehrere Ärzte und Pfleger um einen einzelnen Patienten -- steigt also der Anteil der intensiven Versorgung, kann es trotzdem bei der Betreuung auf der Station schlechter aussehen.

Und was bedeutet das für die Corona-Krise?

Zunächst birgt sie, wie jede andere Infektionswelle, die Gefahr, die Kliniken zu überlasten. Jedoch sind sie in Deutschland durch Corona bislang noch nicht einmal annähernd an die Kapazitätsgrenzen gestoßen. Dass die Intensivstationen immer einen bestimmten Füllstand aufweisen, ist -- wie oben gesagt -- durchaus geplant. Vorürbergehende Überfüllungen einzelner Kliniken sind kein Ausnahmezustand.

Doch zur Beruhigung: Am 16. November 2020 waren noch 24,6% der Intensivbetten verfügbar. Wie gering der Anteil der Covid-Patienten ist, zeigt dieses interne Dokument des Gesundheitsministeriums, bei dem ab Seite 15 die Lage der einzelnen Kliniken detailliert aufgeführt ist.

Vergleicht man die Anzahl der Intensivbetten Deutschlands mit anderen Ländern, so zeigt sich auch hier ein beruhigendes Bild: Im Vergleich zu Frankreich ist die Kapazität bezogen auf die Einwohner hierzulande doppelt so hoch; verglichen mit Italien haben wir sogar eine fast vierfach bessere Versorgung.

Allerdings scheint Corona oft so hell zu leuchten, dass für andere wichtige Dinge nur noch der Schatten bleibt. So weist Dr. Brandenburg darauf hin, dass Infektionen der Lunge eine sehr häufige Todesursache älterer Menschen sind, und dass Corona nur eine weitere dieser Erkrankungen darstellt. So sterben gerade an einer Lungenentzündung doch erheblich mehr Menschen als an Covid-19, auch wenn diese im Vergleich zu Covid-19 als wesentlich harmloser eingeschätzt wird. Ferner gehen momentan die Menschen bei Beschwerden seltener oder verspätet zum Arzt, so dass andere gefährliche Erkrankungen wie Herzinfarkte zu einer steigenden Todesursache werden (vgl. auch Michael Tsokos spricht über seine Erfahrungen mit Covid-19).

Bemerkung zum ersten Diagramm:
Aus der Anzahl der Ärzte und der Anzahl der Arbeitstage wurde ermittelt, wieviele Arzttage zur Verfügung stehen. Das gleiche wurde mit dem Pflegepersonal gemacht. Für die Betten wurde angenommen, dass sie 365 Tage zur Verfügung stehen, wobei anhand der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer der Patienten jeweils ein Tag für Reinigung abgezogen wurde. Dieses wurde in Bezug gesetzt zu der Anzahl der Tage, an denen ein Patient ein Bett belegt hat, d.h. zur Anzahl der abgerechneten Tage. Die Rohdaten entstammen dem statistischen Bundesamt. BT bedeutet Belegungstag. Ersteller: Jens Walter.

 

Quellen und Verweise:
Interview mit Dr. Brandenburg
Krankenhausstrukturfonds
Krankenhaus-Schließungssimulator
Chronik der Krankenhausschließungen
Destatis - Intensivbetten Trend
Destatis - Intensivbetten international
Diskussion im Ärzteblatt 1
Diskussion im Ärzteblatt 2
ARD-Bericht - Platznot in Krankenhäusern
Hessenschau - Viele Klinken sind überfüllt
Überblick zur Covid-19-Lage, 17.11.2020


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