Ist die Ukraine eine weitere "Bärenfalle" Zbigniew Brzezinski's?

Marcel Bühler, freier Mitarbeiter und Rechercheur aus Zürich, teilt seine Einschätzung der Lage in der Ukraine in seinem heutigen Rundmail.

Liebe Zeitgenossen, wertes Publikum,

Der Krieg in der Ukraine dauert fort und führt wie erwartet zu grösserem Widerstand der von den USA aufgerüsteten Ukrainer. Die Verluste der Russen dürften bereits erheblich sein, zudem erhält die Ukraine nun weitere Hilfe in Form von Geld und Waffenlieferungen wie Panzer- und Luftabwehrraketen (Stinger) aus dem westlichen Ausland während gegen Russland die bereits bestehenden Sanktionen massiv verschärft wurden, um die Regierung Putin's auch innenpolitisch unter Druck zu setzen. Besonders in den deutschen Medien läuft eine beispiellose Hetze gegen Putin als "irren Diktator" und "neuen Hitler" und eine grosse Solidaritätswelle mit den Ukrainern erfasst die gesamte westliche Welt.

Auch wenn die Strategen in Russland mit einer solchen Entwicklung durchaus rechnen mussten, so stellt sich doch die Frage, ob der Krieg in der Ukraine zu einer neuen "Bärenfalle" wird, wie der langjährige Krieg der Sowjetunion gegen Afghanistan in den 80er Jahren. Wie wir heute wissen, war es damals das Kalkül des Sicherheitsberaters und Falken der Jimmy Carter-Regierung, Zbigniew Brzezinski, die Sowjets in ein russisches Vietnam zu verwickeln um damit das bereits geschwächte Riesenreich der SU sowohl innenpolitisch wie ökonomisch weiter zu destabilisieren, so dass die Sowjets 1989 nicht nur aus Afghanistan abziehen, sondern auch Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands und eine umfassende Abrüstung mit den USA bzw. der NATO aufnehmen mussten. Am Ende löste sich nicht nur der Warschauer Pakt, sondern auch die SU und der gesamte Ostblock auf, was zu den Nachfolgeproblemen in diesem Raum bis zur aktuellen Ukrainekrise führte.

Zbigniew Brzezinski (1928 - 2017) stammte aus der polnischen Aristokratie und war sowohl ein Kommunisten- wie Russenhasser gleichermassen der 1979 persönlich den afghanischen Mudschaheddin amerikanischen Beistand im Kampf gegen die Sowjets versprach und über den späteren Zusammenbruch des Ostblocks natürlich höchst erfreut war. 1997 veröffentlichte er das Buch "The Grand Chessboard: American primacy and its geostrategic imperatives". Das Buch kann man noch heute auf der Website der CIA als pdf herunterladen.

In dieser umfassenden Analyse amerikanischer "Überlegenheit" und deren geopolitischer Grundlagen kommt nun der Ukraine in Europa eine bedeutende Rolle als eine Art "Scharnier" zwischen Ost und West zu, d.h. die Ukraine im Südosten Europas war immer ein Einfallstor ("Rennbahn") für eindringende Völker aus Zentralasien (Awaren, Mongolen, Turkvölker), aber auch der weiche Unterleib Russlands, den die Wehrmacht im 2. Weltkrieg weitgehend besetzt hatte (inkl. Krim) und von der roten Armee unter Millionenverlusten mühsam zurückerobert werden musste (Schlachten um Charkow, Sewastopol, Kiew etc.).

Brzezinski kommt in seinem Buch zum Schluss, dass der Verlust der Ukraine das Ende Russlands als europäische Grossmacht bedeutet und der Süden Russlands in einem grossen Krieg mit der NATO kaum mehr zu verteidigen wäre. Da ich davon ausgehe, dass die russischen Generäle das Buch auch kennen und auch durchaus in der Lage sind die geographischen Karten zu studieren, ist der erbitterte Widerstand Russlands gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine durchaus verständlich und sicher kein persönliches Steckenpferd Putins über dessen Geisteszustand wir uns keine Sorgen machen sollten (die psychologischen "Diagnosen" westlicher Medien reichen von "realitätsfernem Irren" über "eiskalten Strategen" bis zum "Hundefreund").

Wie auch immer der Konflikt militärisch und politisch ausgehen wird, die Russen werden wohl versuchen, einen erheblichen Teil im Osten und Süden der Ukraine zu annektieren, sofern sich die Ukraine nicht doch dazu durchringt, sich als militärpolitisch neutral zu erklären und auf die Aufrüstung mit NATO-Raketen, Atomwaffen etc. zu verzichten. Wie dieses "Neurussland" in etwa aussehen könnte, zeigt eine Karte aus einem Spiegelgespräch im Jahr 2015 mit Brzezinski (Titelbild oben). In diesem Gespräch zeigte sich Brzezinski trotz seiner geopolitischen Schachzügen immerhin soweit realistisch, um aus dem "neuen kalten Krieg" nicht einen "heissen" zu machen, so wie wir es gerade erleben.

Zitat Brzezinski von damals:

"Es braucht ein ähnliches Arrangement wie jenes zwischen Russland und Finnland, das seit Jahrzehnten für Stabilität und Frieden sorgt. Die Ukraine sollte das Recht haben, ihre politische Identität frei zu wählen und sich enger an Europa zu binden. Gleichzeitig muss Russland versichert werden, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird. Das ist die Lösungsformel."

Leider kam seine Einsicht ein Jahr nach dem Maidanputsch zu spät.

 


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