Das Urteil des BVerfG zum Klimaschutzgesetz als Grundlage einer Diktatur

Das Urteil des BVerfG zum Klimaschutzgesetz als Grundlage einer Diktatur Bild von Don Johnoghue auf Pixabay

Am 24. April 2021 hat das Bundesverfassungsgericht den Klimaschutz zum zentralen Thema des Grundgesetzes aufgewertet. Viele haben das begrüßt, aber nicht gründlich zu Ende gedacht.

Auch wenn die Politik zu Recht dafür kritisiert wird, dass sie nur bis zum Jahr 2030 gedacht habe und nun für die darauf folgenden zwei Jahrzehnte Klimaparameter entwickeln muss, steckt in dem Urteil noch mehr. Mit dem Spruch hat das Gericht im Prinzip alle zukünftigen Entscheidungen unter einen Klimavorbehalt gestellt. Um den Schutz des Klimas geht es nur indirekt. Nun steht plötzlich der Schutz von Freiheitsrechten im Fokus, von denen zu erwarten ist, dass sie durch Klimaschutzmaßnahmen eingeschränkt werden könnten. Ob die Kläger sich das erwartet hatten, ist fraglich.

Das Verfassungsgericht hat sich dazu einen seltsamen Gedankengang zu Recht gelegt, der folgendermaßen argumentiert: Um die „Paris-Ziele" der Klimakonferenz von 2015 einzuhalten, muss bis 2050 eine 100-prozentige Klimaneutralität erreicht werden. Die gegenwärtige Gesetzeslage sieht eine bezogen auf das Jahr 1990 55-prozentige Reduktion der Treibhausgasemissionen bis 2030 vor. Dafür stand bzw. steht ein Zeitraum von 40 Jahren zur Verfügung. Die restlichen 45 Prozent müssen in lediglich 20 Jahren – von 2030 bis 2050 –  realisiert werden. Dies bedeutet, dass die nach 2030 nötigen Minderungsmaßnahmen sehr drastisch ausfallen müssen.

„Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind", so das Gericht.

Laut Klimaschutzgesetz von 2019 muss im Jahr 2025 festgelegt werden, wie der Emissionsminderungsweg nach 2030 konkret verlaufen soll. Die bejubelte Veränderung besteht in nichts anderem, als den Termin 2025 um drei Jahre vorzuverlegen:

„Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln."

Bei der Lektüre des 270 Seiten starken Urteils, in welchem der Kontrast zwischen den moderaten Minderungsbemühungen bis 2030 und den danach nötigen drastischen Maßnahmen vielmals angesprochen wird, wartet man immer ungeduldiger auf das erlösende Wort: Der Ausbau der erneuerbaren Energien müsse sofort erheblich beschleunigt werden, um die Diskrepanz zwischen den ersten 40 Jahren (ab 1990) und der Zeit ab 2030 (bis 2050) abzumildern. Doch man wartet umsonst. Die bisherige Gesetzgebung zum Klimaschutz wird zwar mit kritischen Aussagen bedacht, aber nur an einem Punkt wird tatsächlich Änderung verlangt: Nämlich, dass die bisher versäumte Konkretisierung des Pfades ab 2030 umgehend angegangen werden müsse.

Klimaschutz = Freiheitsberaubung?

Die nach 2030 zu erwartenden Klimaschutzmaßnahmen werden im Urteil ausschließlich als freiheitseinschränkend gekennzeichnet:

„rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit", „CO2 - relevanter Freiheitsgebrauch immer stärkeren, auch verfassungsrechtlich gebotenen Restriktionen ausgesetzt", „praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet".

Klimaschutz wird dargestellt als Freiheitsberaubung. Die Bevölkerung erscheint als willenloses Opfer neuer nie dagewesener Zwänge.

Spätestens an dieser Stelle fragt man sich: Wo bleiben eigentlich die erneuerbaren Energien? Diese sind doch der entscheidende Hebel für den Klimaschutz. Und in der Energiewende ist die Bevölkerung gerade kein Opferlamm, sondern der wichtigste Akteur. Denn die Erneuerbaren, und insbesondere die kleinteilige Photovoltaik, sind genuines Betätigungsfeld des Mittelstandes. Das Geschäftsmodell großer Konzerne ist da nicht kompatibel. Und Akteure, Aktive, Kreative befinden sich niemals in einer Opferrolle. Sie wirken mit an der Gestaltung der Welt.

Dem Bundesverfassungsgericht ist dies fremd. Die Energiewende, die erneuerbaren Energien, geschweige denn die Bürgerenergie, spielen im Urteil keine Rolle. Statt „Energiewende" ist dort von „Klimaneutralität" oder „Treibhausgasneutralität" die Rede. Diese Begriffe erscheinen als übergeordnet. Sie enthalten die erneuerbaren Energien als einen Faktor, umfassen aber auch sogenannte CO2-Senken, indem als Emissionsausgleich beispielsweise Bäume gepflanzt werden, die das CO2 der Luft wieder entziehen sollen. Das Aufrechnen ist allerdings nicht nur schwer durchschaubar, sondern auch fragwürdig. Der tatsächliche Ausgleich erfolgt erst Jahrzehnte später, wenn die Bäume eine gewisse Größe erreicht haben, was in Zeiten des Klimawandels aber niemand garantieren kann.

Energiewende ist die fundamentale Klimaschutzmaßnahme

Energie ausschließlich nur noch regenerativ zu erzeugen, ist die grundlegende und ausschlaggebende Klimaschutzmaßnahme. Sie ist einfach und klar zu überwachen und verringert die Treibhausgasemission sofort, statt sie einer bloßen und auch noch ungewissen Neutralisierung in ferner Zukunft zu überlassen. Auf den schnellstmöglichen und 100-prozentigen Umstieg auf die Erneuerbaren müssen alle Ressourcen fokussiert werden.

Worte des Mahnens haben die Verfassungsrichter eine ganze Menge gefunden. Ihre Leitlinien sind indes nicht vorbildlich: Bis 2030 könne erst mal alles weiterlaufen, wie gehabt. Immer mehr Praktiker der Energiewende wissen jedoch, wie unverantwortlich das wäre. Bis 2030 muss der Umstieg auf 100 Prozent Erneuerbare geschafft sein, wenn die Klimarettung noch eine Chance haben soll!

Und ja: „Wo ein Wille ist, öffnet sich auch ein Weg", darauf sollte man setzen, dafür sollte man alles tun und alles geben. Etwa das Ersparte nicht in einen Urlaub, sondern für Stromunabhängigkeit investieren! Es wäre kein Verzicht, sondern könnte der Gewinn neuer Erfahrungen werden: Eigenständigkeit, Handlungsfähigkeit, Autonomie.  Und eine mögliche Geldentwertung verlöre dadurch auch ihre Schrecken!

Zusammen mit den erneuerbaren Energien käme ein neues Zeitalter. Vermutlich würde sich mehr ändern als gleichbleibt. Dass es den bisherigen Massentourismus nicht mehr geben wird, kann durchaus sein. Vielleicht werden wir unsere Freizeit verwenden, um mit dem Nahen intensiver in Kontakt zu kommen. Auch mit den Menschen, die uns umgeben. Gerade die Eigenversorgung mit erneuerbaren Energien legt nahe, Gemeinschaften zu bilden. Und die gemeinsame Energieversorgung kann sich weiter entwickeln zu neuen Formen von Lebensgemeinschaften. Das kann deutlich bereichernder und befreiender sein als der jährliche Mallorca-Urlaub.

Das Karlsruher Urteil nährt aber einen aktuellen Verdacht. Die Einschränkungen der demokratischen Freiheitsrechte, die als angebliche Corona-Massnahmen eingeführt worden sind, können mit der Begründung, einer viel größeren Klimakatastrophe begegnen zu müssen, nicht nur verlängert, sondern ausgeweitet werden. Für einen Lockdown ganz anderer Art sind die ersten Weichenstellungen erfolgt. Schauen wir im Grundgesetz den Artikel 20a an:

„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."

Hierzu liefern die Verfassungsrichter im aktuellen Urteil eine substantiell andere, bedrohlich erscheinende Interpretation:

„Art. 20a GG ist eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die besonders betroffenen künftigen Generationen binden soll."

Und weiter:

„Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten."

 

Ein Artikel von Christfried Lenz und Klaus Oberzig

Verweis:

Pressemitteilung des BVerfG vom 29.04.2021: Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetzt teilweise erfolgreich

 


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