Verkehrswende sagt sich so leicht

Verkehrswende sagt sich so leicht privat

Was für die E-Mobilität gilt, trifft auch auf den U-Bahnbau zu. Wer die Klimabilanz ohne den Bauaufwand und die Veränderungen der Verkehrsströme betrachtet, erzeugt schnell ein schiefes Bild. Exemplarisch rechnen dies drei Verkehrsplaner am Beispiel der Berliner Straßen- und U-Bahn vor.

Mitten hinein in sozialdemokratische Muskelspiele um teure Berliner Infrastrukturprojekte mit zweifelhaftem Nutzen platzte am 2. Dezember 2020 eine Studie über die CO²-Bilanz der Berliner Tunnel-Projekte. Initiatoren sind Matthias Dittmer, Sprecher der Initiative Stadt für Menschen sowie Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Berliner Grünen, der Mathematiker und Informatiker Axel Geraets sowie der Verkehrsplaner Axel Schwipps. Ihren Berechnungen zufolge fällt „Die Klimabilanz Berliner U-Bahn- und Straßenbahnplanungen“, so der Titel, zumindest für die U-Bahn katastrophal aus. Einem großen CO²-Ausstoß in der Bauphase stünden den Berechnungen zufolge nur geringe CO²-Einsparungen gegenüber. Um eine positive Klimabilanz zu erreichen, dauere es bei allen untersuchten U-Bahnprojekten weit über 100 Jahre.

Zustande kommen diese Zahlen, indem die drei Planer in einem ersten Schritt die CO²-Emissionen des U-Bahnbaus durch Herstellung und Verarbeitung von Stahl und Beton betrachtet haben, wie er für einen Normkilometer U-Bahnbau angenommen wird. Dieser Normkilometer beinhaltet sowohl den eigentlichen Tunnel samt der gesamten technischen Ausstattung als auch Bahnhöfe und alles, was dazu gehört, also z.B. Rolltreppen, Fahrstühle und Sitzgelegenheiten. Auch der durch den Erdaushub verursachte CO²-Ausstoß floss in die Berechnungen mit ein. Stahl und Beton als in ihrer Herstellung äußerst energieintensive Materialien sind das Grundgerüst eines jeden Tunnelbaus. Fast 100.000 Tonnen CO² je Kilometer werden nach den Berechnungen so emittiert.

In einem zweiten Schritt wurde untersucht, wie viele Einsparungen an CO² im Oberflächenverkehr, zum Beispiel durch Verlagerungen vom Auto zur neuen U-Bahn, zusammenkommen können. Rund 20% der anvisierten U-Bahn-Fahrgäste sollen ehemalige Autonutzer:innen sein, deren Auto nun öfter zu Hause bleibt und somit kein CO² in die Luft pustet. Zudem sollen je Kilometer U-Bahn rund 2,5 Kilometer Buslinien wegfallen, was sich ebenfalls positiv auf die CO²-Bilanz auswirken soll.

Hier findet sich eine erste Krux in der Berechnung. Wenn durch den U-Bahnbau im Gegenzug ein anderes ÖPNV-Angebot wegfällt, wie beispielsweise 2,5 Kilometer Buslinie je Kilometer neuer U-Bahn, kann diese Verschlechterung bzw. Verschiebung des Angebots innerhalb des ÖPNV-Sektors dazu führen, dass ehemalige Nutzer:innen dieses Busangebots zukünftig wieder aufs Auto umsteigen, weil die U-Bahn für sie in der individuellen Betrachtung keine Verbesserung darstellt. Im Beispiel verlängert sich durch den Ersatz der Busse durch U-Bahn der durchschnittliche Weg zur nächsten Station. U-Bahnen weisen in der Regel einen doppelt so großen Abstand zwischen den Haltestellen auf als Busse. Die gefühlte Qualität der ÖPNV-Anbindung kann daher abnehmen und den Ausschlag dafür geben, vom ÖPNV zum Auto zu wechseln.

Die positiven Klimaeffekte der U-Bahn würden dadurch sinken. Diese Einflussfaktoren wurden in den Berechnungen der Studie aber nicht berücksichtigt. Mathematisch betrachtet bedeutet dies, dass die in der Studie angegebenen Zeiträume, bis sich ein U-Bahnbau in der Klimabilanz amortisiert, noch optimistisch sind. So amortisiert sich der von der SPD erträumte U6-Abzweig nach Tegel laut Studie erst nach sage und schreibe 230 Jahren, während die U7 zum neuen Flughafen BER „nur“ 114 Jahre und die U8 ins Märkische Viertel läppische 168 Jahre bräuchte. Erst dann würden die Projekte mehr CO² eingespart haben, als durch ihren Bau freigesetzt wurde. Der Straßenbahnbau durch die Leipziger Straße würde zwischen 7.000 und 12.000 Tonnen CO²-Emissionen je Kilometer emittieren und somit lediglich 9,4 Jahre bis zur Amortisierung brauchen, bei einer Trasse aus Schotter oder sogar einem Rasenbett wären es sogar nur 8,1 Jahre.

Knackpunkt der schlechten U-Bahnwerte sind neben den zugrundeliegenden Emissionen vor allem die örtlichen Gegebenheiten der Projekte. Sie alle liegen außerhalb des dicht besiedelten S-Bahnrings, wodurch die prognostizierten Fahrgastzahlen und das jeweilige Verlagerungspotenzial überschaubar bleiben. Auch erzielen die bloßen Verlängerungen keine oder kaum netzwirksame Synergien durch neue Umsteigeverbindungen zu anderen Schnellbahnlinien, was sich in der Regel positiv auf die Fahrgastzahlen auswirkt.

Am Beispiel der U6-Verlängerung generiert dieser Abschnitt lediglich 8.000 neue Passagiere, von denen 1.600 Umsteiger vom Auto kommen. Dem gegenüber liegen CO²-Emissionen von über 230.000 Tonnen für den Bau. Aufgrund der geringen Fahrgastzahlen und des entsprechend geringen CO²-Einsparpotenzials durch wegfallende Bus- und Autofahrten kommt so die extrem lange Amortisierungszeit von 230 Jahren zustande. Die Straßenbahn durch die innerstädtische Leipziger Straße dagegen soll 40.000 neue tägliche Fahrgäste generieren, ihr Bau benötigt mit je nach Betrachtungsweise maximal 23.000 Tonnen CO² aber nur einen Bruchteil der Emissionen eines U-Bahnbaus. Folglich fällt mit maximal 9,4 Jahre die Zeit bis zur Amortisierung deutlich geringer aus.

Anhand dieser Zahlen stellen die Autoren nicht ganz unberechtigt die Frage, in wie fern der Bau von neuen U-Bahntrassen wirklich einen Beitrag zur Verbesserung der Infrastruktur leistet, oder am Ende eher sogar zur Verschärfung der Klimakrise beiträgt. Und auch wenn die Studie nicht den Anspruch erheben kann, alle einzubeziehenden Faktoren berücksichtigt zu haben, ist die grobe Marschrichtung der Zahlen relativ eindeutig und die Relationen nur schwer besser zu rechnen. Wie man es auch dreht und wendet, die U-Bahn scheint als Zugpferd einer zukünftigen Berliner Verkehrspolitik bei einer pragmatisch-vernünftigen Betrachtung, insbesondere bei den leeren Kassen Berlins und den ökologischen Gegebenheiten, krachend durchzufallen. Die Straßenbahn dagegen hat das Potenzial, ihrem Ruf als vernünftiges aber doch leistungsstarkes und zukunftsstarkes Verkehrsmittel gerecht zu werden. Wenngleich es auch keine große Überraschung ist, dass ein Grüner der Mitinitiator der Studie ist und das Ergebnis daher pro Straßenbahn ausfällt: Die nackten Zahlen bzw. die Abwägung vieler Einzelfaktoren scheinen den Befürwortern eines stärkeren Straßenbahnausbaus recht zu geben.

 

Quellen und Verweise:
Die Klimabilanz Berliner U-Bahn- und Straßenbahnplanungen


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