Sag Nein! Kein Krieg ist legitim

Sag Nein! Kein Krieg ist legitim Käthe Kollwitz, gemeinfrei (Wikimedia Commons))

Eine Widerrede von Axel

"Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!" (W. Borchert)

Krieg darf nicht sein, NEIN! Aber: Es ist Krieg.

Krieg gab‘s schon immer – jetzt kommt er mit dem Ukrainekrieg fühlbar näher.

Bis heute wurden in diesem Krieg ca. 300.000 Menschen ermordet, Unzählige körperlich und seelisch verletzt, und es ist kein Ende in Sicht.

Was ich von Friedensfreunden höre

  1. „Februar 2022: Russland beginnt militärische Operation,völkerrechtlich legitim, und verständlich…“
  2. Andere fragen: „Was hätte Russland/Putin sonst machen sollen?“
  3. Heiner Bücker fragt sich "warum auf diesen Demonstrationen für Frieden, die sicherlich sehr große Berechtigung haben, so viele Leute auch präsent sind, die aus der antirassistischen und migrationspolitischen Bewegung kommen und diesen Krieg aus dieser Perspektive total ablehnen und sich auf die Seite der Ukraine stellen". [1]

Man stelle sich einen Film vor: die letzte Minute der 300.000 ermordeten Menschen aneinandergereiht. 300.000 Minuten = 5.000 Stunden = 208 Tage Schrecken, 208 Tage Mord und Totschlag.

Oder nur eine Minute, in der eine Granate den Kopf eines Vaters zerfetzt und gleichzeitig die Lunge seiner Frau so durchlöchert, dass sie nach Atem ringend stirbt -- und daneben das überlebende Kind.

Wie soll dieses Kind weiterleben, wer kann es wagen diesem Kind zu sagen, "dieser Krieg ist aber legitim"?

Was Russland hätte machen sollen

Die Frage „Was hätte Russland sonst machen sollen?“ ist ganz einfach zu beantworten. Sie hätten nicht in der Ukraine einmarschieren sollen.

Manchmal wird behauptet „es wäre sonst in der Ukraine von Regierungsseite NOCH Schlimmeres passiert (von Biowaffenlager bis atomarer Gefahr)“. Ich würde zurückfragen:

  • Wie konnte oder kann jemand wissen, wie sich dieser Einmarsch Russlands noch entwickelt?
  • Sind wir jetzt nicht viel näher an einem Atomkrieg?
  • Meinst du wie Madeleine Albright, 500.000 sind noch ok?
  • Bis jetzt sind ca. 300 Tsd. Menschen in diesem Krieg ermordet worden, sind 1 Million auch noch noch ok?

Ich würde zurückfragen, wo ist die Grenze, bei der du sagen würdest, „oh Mist, es hat sich nicht gelohnt“?

Dann würde ich darum bitten, sich mal in die Perspektive einer ukrainischen oder russischen Mutter zu versetzen, deren Sohn in diesen Krieg gezwungen und dabei erschossen wurde oder sich mal vorzustellen, man lebte selbst im Kriegsgebiet oder hätte dort nahe Angehörige und Freunde.

Kann man diesen Menschen sagen: "Ihr müsst euch leider opfern", oder soll man sagen: "Notfalls sterbt ihr als Kollateralopfer durch eine russische Bombe, weil Putin ja die Überlebenden dieses Krieges am Ende vor dem Imperialismus des Westens retten wird?"

Der russische Soldat und sein ukrainischer Freund

Was soll man einem russischen Soldaten sagen, der weiß, dass sein ukrainischer Freund auf der anderen Seite zum Kampf gezwungen wird? Soll man ihm sagen: "Du musst dein Leben für die größere Sache riskieren und notfalls auch deinen Freund erschießen"?

Bei der Nationalen Nachrichtenagentur der Ukraine, Ukrinform, und auf der Internetseite des russischen Verteidigungsministeriums werden Menschen zu Feinden erklärt, deren Eliminierung oder Liquidierung regelmäßig stolz als Erfolg präsentiert wird. Doch dieser Einmarsch Russlands hat noch viele andere grausame und von keinem Menschen bewältigbare Konsequenzen:

"Der Vorstand der Zeitschrift 'Bulletin of Atomic Scientists' (BAS) hat im Januar 2023 die Weltuntergangsuhr (Doomsday Clock) neu eingestellt: Sie steht auf 90 Sekunden vor Zwölf. Nie hat die Welt näher vor dem Untergang durch den Atomkrieg gestanden. Dass die Uhr auf 90 Sekunden vor Zwölf stehe, begründeten die Wissenschaftler*innen mit der vom Ukrainekrieg ausgehenden Gefahr. „Russlands kaum verhüllte Drohungen mit dem Einsatz von Atomwaffen erinnern die Welt daran, dass eine Eskalation des Konflikts - durch einen Unfall, Absicht oder eine Fehlkalkulation - ein schreckliches Risiko darstellt. Die Möglichkeit, dass der Konflikt außer Kontrolle gerät, bleibt hoch", steht es im Statement der Gruppe." [2]

Wenn man diesen Krieg Russlands, wenn auch zähneknirschend, rechtfertigt, rechtfertigt man auch die Existenz von Militär, das nur mit Befehl und Gehorsam funktioniert. Militär ist eine grundsätzlich undemokratische Veranstaltung, bei der den Menschen das eigene Denken und Widersprechen abgewöhnt werden muss. Schon allein deshalb muss man Militär ablehnen, und ich stimme Kurt Tucholsky zu, der gesagt hat: "Soldaten sind Mörder". Außerdem müsste man ja auch noch für den Erhalt der Rüstungsindustrie sein, zumindest in Russland.

Von einer Kriegslogik zur Friedenslogik

Ich höre schon manche sagen, "aber der Westen, aber die Nato, aber die USA...". Alles richtig. "Unsere" Politik ist katastrophal und beschleunigt den Zug Richtung Abgrund. Aber: Russland hat eine Grenze überschritten und das müssen wir, wenn wir glaubwürdig sein wollen, als Friedensbewegung immer betonen.

Trotzdem müssen wir vor allem "unsere" Seite kritisieren und die Menschenfeindlichkeit von Militär und Rüstungsindustrie deutlich machen. Wir sollten immer die leidenden Menschen im Blick haben und uns nicht die Sicht von Großmächten zu eigen machen, die das Völkerrecht und die UN-Charta zu ihren Gunsten zurechtbiegen, um ihren Krieg als legitim verkaufen zu können.

Wir müssen von einer Kriegslogik zu einer Friedenslogik kommen, Krieg darf nicht Mittel der Politik sein. Stattdessen sollten wir uns mehr mit dem Konzept der sozialen Verteidigung beschäftigen.

Am 25.01.2023 brachten die Nachdenkseiten einen Bericht zur Verurteilung des Friedensaktivisten Heiner Bückers durch das Berliner Amtsgericht, in meinem Kommentar Nr.61: kritisiere ich die Verurteilung, merke aber an:

„Er meint also, dass man diesen Krieg nicht total ablehnen darf. Ich dagegen finde, echte Friedensaktivisten müssen diesen Krieg, wie alle anderen, selbstverständlich total ablehnen. Auch ist es für mich selbstverständlich, dass man sich auf die Seite der leidenden Menschen in der Ukraine und natürlich auch auf Seite aller Menschen stellt, die unter Kriegen leiden. Ich kann es nicht akzeptieren, wenn manche 'Friedensaktivisten' sagen 'Putin hatte keine Wahl' oder fragen: 'Was hätte Putin denn anderes machen können?'. Man hat immer eine Wahl, und Putin hätte auch auf einen militärischen Einmarsch in die Ukraine verzichten können.“

Wolfgang Borcherts Mahnung „Dann gibt es nur eins“ begleitet viele Friedenskundgebungen, doch vielen ist die zweite Hälfte dieses Textes nicht bekannt. Er beschreibt eindrücklich was uns droht, wenn wir nicht NEIN! sagen:

„…dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch – all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht, wenn – wenn – wenn ihr nicht NEIN sagt.“

Quellen und Verweise:
[1] Rede von Heiner Bücker auf einer Kundgebung, ab 1:20:53
[2] AtomwaffenA-Z.info - Weltuntergangsuhr
[zu 2, a.d.R] Blautopf - Die Nukleare Weltuntergangsuhr steht jetzt auf 90s vor Mitternacht

 


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